ÜBER KUNST IM BÜRGERAUFTRAG

Lange konnten nur wenige Privilegierte ein Kunstwerk in Auftrag geben. Neue Auftraggeber ist ein innovatives Modell für Kunst im Bürgerauftrag, mit dem alle das können. Bürgerschaftliche Gruppen ergreifen als Neue Auftraggeber die Initiative und stoßen gemeinnützige, öffentliche Kunstprojekte an. Sie beauftragen internationale Künstlerinnen und Künstler aller Disziplinen wie Sasha Waltz, Simon Denny oder Rimini Protokoll, ihren drängenden Anliegen mit künstlerischen Werken Sichtbarkeit zu verleihen. So entstehen neue Perspektiven und Dynamiken dort, wo sich etwas bewegen soll, wo Ungesagtes nach Ausdruck verlangt, wo Wünsche nach einer Form suchen. 

Begleitet werden die Auftraggebergruppen von Mediatorinnen und Mediatoren mit Erfahrung und praktischem Know-How im Umgang mit den zeitgenössischen Künsten. Sie setzen das Modell deutschlandweit mit Trägern aus Kultur und Politik sowie öffentlichen und privaten Förderern um und passen es den lokalen Bedürfnissen an. Dabei stehen sie im Austausch mit Partnern in Europa, die insgesamt bereits über 500 bürgerschaftliche Aufträge begleitet haben.

Wer wir sind

In Deutschland wird Kunst im Bürgerauftrag nach dem Modell Neuen Auftraggeber durch die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber gGmbH und die Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e.V. vertreten. Beide Organisationen arbeiten eng zusammen und sind Teil eines breiten internationalen Netzwerks.

Die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber berät und unterstützt als gemeinnützige GmbH Kommunen, Kulturinstitutionen, Landkreise und alle, die an der Umsetzung des Modells in ihrer Region interessiert sind. Sie setzt darüber hinaus eigene Programme auf und steuert überregionale Aufgaben und Partnerschaften. Die Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e.V. vertritt die Interessen der in Deutschland tätigen Mediatorinnen und Mediatoren. Der Verein bildet aus und sichert die Qualität der Mediation. 

Eine große Tanzgruppe in der Stadt von Marl bei der Aufführung

Die Neuen Auftraggeber von Marl

Aufführung der Arbeit In C – Marler Partitur von Sasha Waltz für die Neuen Auftraggeber von Marl, Marl, 14. September 2022 Foto: Florian Wagner
Auftraggeber:innen von Sauen sitzen an einem Tisch mit Mediatorin Lea Schleiffenbaum und Künstlerin Judith Hopf

Die Neuen Auftraggeber von Sauen

V.l.n.r.: Zwei Auftraggeberinnen im Gespräch mit Mediatorin Lea Schleiffenbaum und Künstlerin Judith Hopf in Sauen, 2023 Foto: Victoria Tomaschko
Mediator Holger Friese hält den unterzeichneten Auftrag hoch, am Tisch mit Regionalleiter der Pilotphase Gerrit Gohlke und den Auftraggeber:innen in Eberswalde

Die Neuen Auftraggeber von Eberswalde

Mediator Holger Friese und Regionalleiter der Pilotphase Gerrit Gohlke mit den Auftraggeber:innen bei der Auftragsunterzeichnung, Eberswalde, 2019 Foto: Victoria Tomaschko
Auftraggebergruppe von Wietstock steht mit Künstlerin Antje Majewski und Mediatorin Susanne Burmester auf einer Wiese vor dem Mosaik

Die Neuen Auftraggeber von Wietstock

Die Auftraggebergruppe mit Künstlerin Antje Majewski (4.v.l.) und Mediatorin Susanne Burmester (3.v.r.) bei der Einweihung des Mosaiks von Antje Majewski in Wietstock, 2022 Foto: Victoria Tomaschko

Wie es geht

Als Auftraggeber treffen die in den Projekten engagierten Bürgerinnen und Bürger alle wesentlichen Entscheidungen. So tragen sie Verantwortung für ihr Projekt und handeln selbstbestimmt in der gesellschaftlichen Situation, in der sie sich befinden. 

Anlass für einen Auftrag sind in der Regel drängende Anliegen. Diese müssen zunächst gar nichts mit Kunst zu tun haben. Es kann um Probleme in sozialen Gemeinschaften gehen, um schwelende Konflikte, fehlende Sichtbarkeit relevanter Fragestellungen oder um den Wunsch nach neuen Orten der Begegnung. Vielleicht soll ein Stück Geschichte neu und anders erzählt werden, eine Person gewürdigt, ein klimagerechtes Leben befördert oder eine soziale Utopie formuliert werden. Mal sind es ganz kleine, mal große Themen, bei denen ein Auftrag beginnt.

Meist tritt eine kleine Gruppe von Menschen mit der Mediatorin oder dem Mediator einer Region in den Austausch und stellt ihr Anliegen dar. Die Mediation unterstützt dann dabei, das bürgerschaftliche Anliegen als einen Auftrag zu formulieren und wichtige Fragen zu bedenken; etwa, wer in das Projekt noch mit eingebunden sein könnte, welche Ziele realistisch erscheinen, welche künstlerischen Formen in Betracht kommen. Ist der Auftrag klar, schlägt sie eine Künstlerpersönlichkeit vor, die zu diesem Auftrag und der Auftraggebergruppe passt. 

Diese wird im nächsten Schritt von der Bürgergruppe beauftragt, ein künstlerisches Konzept zu entwickeln. Moderiert wird der Dialog mit der Auftraggebergruppe von der Mediatorin oder dem Mediator. Wenn das Konzept die Auftraggebergruppe überzeugt, beginnt die Planung für die Produktion des Werkes. Überzeugt das Konzept nicht, wird es überarbeitet.

Ehe die Produktion beginnt, werden meist weitere Akteure angesprochen. Das können die Nachbarschaft, die Presse oder die Bürgermeisterin sein. Sie werden frühzeitig in das Projekt eingebunden und befördern die Umsetzung. Je nach Vorhaben müssen Gelder für die Produktion gefunden werden. Auch das ist Aufgabe der Mediatorinnen und Mediatoren. Oft spielen lokale Institutionen wie Vereine oder Verwaltungen eine tragende Rolle bei der Umsetzung.

Den Produktionsprozess begleitet die Auftraggebergruppe eng in allen Phasen. Ist die Produktion abgeschlossen, das Kunstwerk fertig, wird es öffentlich eingeweiht, uraufgeführt oder in Besitz genommen. Dabei werden die bürgerschaftlichen Auftraggebergruppen weithin sichtbar zu Hauptakteuren. Denn es ist ihr Projekt, das nun öffentlich wird. Im Projektverlauf sind sie zu Experten ihres Kunstwerkes geworden, weil sie jeden Schritt der Konzeption und Entstehung begleitet haben. Ihr Wissen vermitteln sie an die lokale Gemeinschaft weiter. Oft entsteht eine starke Identifikation mit dem Werk und mit dem, was man gemeinsam geschafft hat. Die Erfahrung der eigenen Selbstwirksamkeit stärkt nachhaltig das Selbstverständnis und auch das künftige Engagement der Auftraggeberinnen und Auftraggeber.

Zwei Auftraggeberinnen von Eberswalde sitzen an einem Tisch, im Gespräch vertieft in den ihnen vorliegenden Auftrag.

Die Neuen Auftraggeber von Eberswalde

Zwei Auftraggeberinnen besprechen den Auftrag, Eberswalde, 2019 Foto: Victoria Tomaschko
Künstlerin Mariana Castillo Deball und Einwohner:in in einem Raum in Friedland, unterhaltend.

Die Neuen Auftraggeber von Friedland

Künstlerin Mariana Castillo Deball im Gespräch mit einem Barbetreiber in Friedland, 2022
Foto: Victoria Tomaschko
Auftraggebergruppe mit Kinderwagen von Eberswalde stehen vor einem Wohngebäude und besprechen sich.

Die Neuen Auftraggeber von Eberswalde

Künstlerin Laure Prouvost besucht Eberswalde, 2021 Foto: Victoria Tomaschko
Mehrere Auftraggeber:innen aus Greifswald schauen sich in dem Studio von Künstler Daniel Knorr um

Die Neuen Auftraggeber von Greifswald

Die Auftraggeberinnen zu Besuch im Studio von Künstler Daniel Knorr, Berlin, 2021 Foto: Victoria Tomaschko

Wer es tun kann

Kommunen, Institutionen oder Förderer, die Auftrags- und Mediationsprozesse ermöglichen wollen, finden in der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber die richtige Ansprechpartnerin. Die Geschäftsstelle verbindet Interessierte mit den passenden Akteuren aus diesem Netzwerk, damit sie es in Kooperation oder in eigener Regie umsetzen können. 

Bürgerinnen und Bürger, die ein Projekt anstoßen wollen, können sich an die Mediatorinnen und Mediatoren in ihrer Region oder an die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber in Berlin wenden.

Wer als Mediatorin oder Mediator im Modell der Neuen Auftraggeber aktiv werden möchte, kann sich an die Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e. V. wenden, die als Mediatorennetzwerk in Deutschland die Aus- und Weiterbildung im Peer-to-Peer-Verfahren betreut.

Die Neuen Auftraggeber von Steinhöfel

Die Neuen Auftraggeber von Steinhöfel

Helgard Haug von Rimini Protokoll (Mitte) mit Gästen beim Dorfrezepte-Fest in Steinhöfel, 2020 Foto: Victoria Tomaschko
Mediator Alexander Koch und Auftraggeber von Berlin Sartep Namiq sitzen auf einer Palette der von ihm beauftragten Comicbücher Temple of Refuge

Die Neuen Auftraggeber von Tempelhof

Mediator Alexander Koch und Auftraggeber Sartep Namiq mit einer Palette der von ihm beauftragten Comicbücher Temple of Refuge, Berlin, 2021 Foto: Victoria Tomaschko
Auftraggeberin Regina Funke steht auf einem Feld in Steinhöfel und hält ein Dorfrezept in der Hand.

Die Neuen Auftraggeber von Steinhöfel

Auftraggeberin Regina Funke bei der Präsentation der Dorfrezepte in Steinhöfel, 2020 Foto: Victoria Tomaschko

Was es bringt

Kunst im Bürgerauftrag ermöglicht mehr Menschen Mitsprache bei der Gestaltung ihres gesellschaftlichen Lebensumfeldes. Die Künste gewinnen neue Relevanz und neue Handlungsmöglichkeiten, indem Kulturschaffende mit bürgerschaftlichen Initiativen zusammenarbeiten. Lokale Themen und Bedürfnisse werden gemeinsam durch ambitionierte Kunstprojekte verhandelt. 

Das Modell Neue Auftraggeber stärkt demokratisches Handeln und Engagement, wie auch den sozialen Zusammenhalt. Es mobilisiert Transformationsprozesse vor Ort und trägt zur Daseinsvorsorge, zur lokalen Resilienz und zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse bei. Es macht Krisen und Konflikte verhandelbar und lässt dabei Stimmen hörbar werden, die vielleicht noch nicht gehört wurden. Menschen, die es erlebt haben, berichten häufig davon.

Für die Künstlerinnen und Künstler sind die Neuen Auftraggeber eine Chance, ihre Praxis auch außerhalb der bekannten und üblichen Handlungsräume anzuwenden, sich mit dem eigenen künstlerischen Denken und Handeln für konkrete zivilgesellschaftliche Anliegen einzusetzen und direkt auf bürgerschaftliche Bedarfe zu antworten.

Für Menschen aus der Kunstvermittlung bietet eine Praxis als Mediatorin oder Mediator im Modell Neue Auftraggeber ein anspruchsvolles, gut erprobtes und experimentell weit offenes Handlungsmodell mit einem innovativen Alleinstellungsmerkmal: Bürgerschaftliche Interessen und zivilgesellschaftliche Eigenverantwortung sind Ausgangspunkt und zentrale Instanz für die Produktion öffentlicher Kulturgüter. 

Auftraggeber:innen von Züsedom halten den Entwurf von Jakub Szczęsny in der Hand und besprechen sich.

Die Neuen Auftraggeber von Züsedom

Die Auftraggebergruppe bespricht den Entwurf von Jakub Szczęsny, Züsedom, 2020 Foto: Victoria Tomaschko
Mediatorin Sophia Trollmann sitzt auf einer Bank und unterhält sich mit Vorsitzenden des Seniorenbeirats Renate Kliems in Steinhöfel

Die Neuen Auftraggeber von Steinhöfel

Mediatorin Sophia Trollmann im Gespräch mit der Vorsitzenden des Seniorenbeirats Renate Kliems beim Dorfrezepte-Fest in Steinhöfel 2020 Foto: Victoria Tomaschko

Was es braucht

Kunst im Bürgerauftrag im Modell der Neuen Auftraggeber braucht starke Partner und Förderer. Die Mediation der bürgerschaftlichen Auftragsprojekte und deren künstlerische Realisierung muss finanziert sein. Die engagierten Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern benötigen Rückhalt und politische Unterstützung in Kommunen, in den Ländern und im Bund. Aber auch die wissenschaftliche Betrachtung der Projekte und ihre Evaluation sind nötig, um sie in größere komplexe Zusammenhänge einzuordnen und ihre Wirksamkeit und Nachhaltigkeit verständlich zu machen. 

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